Wow, was sich in den letzten paar Wochen bei uns an der école vivante alles verändert hat! Ganz viele Dinge fangen an zu greifen, es wird umgesetzt und die Kinder haben einen riesigen Sprung in Richtung Selbständigkeit und Eigenverantwortung gemacht. Einige explodieren förmlich und machen gewaltige Schritte… schön zu beobachten. Latifa und Abdullah haben ab sofort den ganz individuellen Wochenplan pro Kind gewünscht. Damit wird ab nächster Woche jeder Schüler an seinen eigenen Zielen arbeiten, gemeinsame Ziele werden nur noch für das Thema und die Religion formuliert. Und auch für das Thema Pflanzen, welches wir die nächsten sechs Wochen bearbeiten, wird weitgehend individuell gearbeitet. Wie sich das alles schrittweise angebahnt hat, war spannend zu erleben!
Als ich am letzten Mittwoch vor den Ferien in die Schule kam, wurde es mir richtig wohlig. Emsige Kinder an ihrer individuellen Arbeit, einige spielten mit Fatima Memory, andere schrieben in ihre Hefte, andere bauten an ihrem Projekt weiter, andere wollten sogleich Hilfe für die aufgelegten Französisch-Übungen. Die Lehrpersonen voll in die Arbeit der Kinder integriert, so dass man sie gar nicht auf den ersten Blick wahrnimmt. Eine wunderschöne Atmosphäre herrschte. So soll Schule sein! Fast wie bei euch in der Scuola 😉
Das erste Mal kam ich mir dann die folgenden Tage schon fast etwas überflüssig vor (und das meine ich überhaupt nicht negativ!). Bouchra hat ihre Aufgabe sofort wahrgenommen und ist eine tolle Ergänzung für das Team. Die Kinder haben sie bereits als Lehrperson im Sinne einer Lernbegleiterin akzeptiert, so dass ich immer mal wieder Luft habe, die neue Atmosphäre zu schnuppern und zu beobachten. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich sie noch bis zu den Frühlingsferien intensiv begleite und ausbilde und sie ab dann die Französisch Planung übernimmt und ich in die Rolle des Coaches gehe und sie bei ihren Unterrichtssequenzen unterstütze und ihr Feedback und Ideen gebe. Damit gibt es dann für mich noch ein wenig mehr Spielraum, um andere Ideen in der Schule umzusetzen.
Wir haben in den letzten Monaten immer wieder festgestellt, dass die hiesige Kultur keine fragende Kultur ist. Fragen werden generell nicht gestellt, da innerhalb der Familien immer die Ältesten sagen, wie was gemacht wird. Dies wird dann nicht mehr hinterfragt. So fällt uns auch auf, dass viele Dinge seit Generationen gleich gemacht werden, obwohl es wesentlich einfachere Wege geben würde. Dies hat natürlich auch Vorteile, so werden Traditionen echt gelebt und die Menschen sind dadurch auch wesentlich entspannter als bei uns. In der Schule zeigt sich dieser kulturelle Hintergrund aber auch stark durch eine fehlende oder nicht geweckte Neugierde und eine Hilfslosigkeit, wenn es darum geht, Fragen zu entwickeln oder Interesse zu bekunden.
Deshalb möchten Daniel und ich in den letzten Wochen, in denen wir hier sind, eine „Denkschule“ anbieten. Wir möchten jeden Tag einen Denkanstoss geben, dem die Schüler folgen können, wenn sie möchten. Auch dürfen sie selbst bestimmen, wie lange sie sich gedanklich damit auseinandersetzen. Wir dachten an unterschiedliche Dinge, wie logische Rätsel mit mehreren Lösungswegen und Lösungen, kreativer Sprachunterricht der die Phantasie anregt (der findet hier auch in der Muttersprache noch gar nicht statt), Tüftelaufgaben mit diversem Material, philosophische Fragen, mathematische kreative Ansätze, gestalterische Herausforderungen… es sollen immer Dinge sein, die zum Denken und kreativer Lösungssuche anregen und viele Lösungswege zulassen. Auch für die Lehrer wäre dieser Ansatz eine Form von Weiterbildung, da sie oft in den gängigen Methoden „es gibt nur eine richtige Lösung für eine bestimmte Frage“ arbeiten. Wir möchten für sie in den nächsten Wochen bereits eine theoretische Weiterbildungseinheit zu diesem Thema machen. Mit den Schülern zusammen könnten sie dann ihren Ideenrucksack packen. Ziel wäre es ja, generell nach diesen Ansätzen in der Schule zu arbeiten. Das wäre dann ein nächster Schritt für die Schule.
Was meint ihr grundsätzlich dazu und hättet ihr dazu hilfreiches Material oder Literatur für uns? Ich lese derzeit gerade ein Buch von Stefanie über forschendes Lernen. Dies wird uns auch als Grundlage für die Ausbildungssequenz dienen.
Übrigens: Vor den Ferien haben Bouchra und ich mit den Kindern Briefe für euch geschrieben. Eine echte Herausforderung für Kinder, welche keinen Pöstler kennen, noch nie einen Brief oder eine Postkarte erhalten oder gesehen haben. Euphorisch und kreativ haben sie an den Briefen gearbeitet. Einige davon sind explizit an Gianna oder Lili adressiert. Vielleicht könnt ihr die noch weiterleiten. Einige sind evtl. schwierig zu entziffern…. wir haben bewusst auf Zensur verzichtet sondern nur Hilfestellung geboten, wenn dies erwünscht war. Also viel Spass beim Lesen 😉
So, nun wünschen wir euch ein schönes Wochenende und grüssen euch herzlich aus dem blühenden Mandelbäumen-Tal
Isabelle und Daniel