Liebe Freunde, Paten und Förderer der école vivante Marokko,
Friede sei mit euch Ganz am Anfang des Projektes école vivante, vor vielen Jahren, stand die Liebe zu einem Tal, der Respekt gegenüber der Natur und den Menschen und die Wertschätzung der uralten Berberkultur, sowie die Vision, den Kindern hier Möglichkeit zu geben, sich mit ihrem ganzen Potenzial zu entfalten. Was 2007 dann mit unseren Schweizer Freunden und dem kleinen Samen einer gemeinsamen Idee begonnen hat, wuchs in den letzten fünf Jahren, dank des grossen Engagements aller Beteiligten, bereits zu einem kleinen Baum heran: Verwurzelt an seinem abgelegnen rauen Standort, mit Knospen und Blüten aus Angeboten und Chancen für die Einheimischen, und mit Ästen, die einladend den Kontakt mit der grossen weiten Welt suchen.
Die ersten beiden Schuljahre der école vivante konnten mit Kindern, die die Freude am Lernen (wieder) entdeckt und behalten haben, erfolgreich abgeschlossen werden und wir starten nun in unser drittes Schuljahr. Momentan ist die Nachfrage nach Schulplätzen in der école vivante grösser als die effektiven Möglichkeiten unserer Grundschule. Das Projekt ist inzwischen Bildungsstätte und Arbeitsort für Männer und Frauen verschiedener sozialer Schichten geworden. In einem Hochtal, in dem Weiterbildungsmöglichkeiten und bezahlte Arbeitsplätze selten sind, ist dies ein aktiver Beitrag zur Ökonomie des Ortes und ist für Familien ein Grund zum Verbleib im Tal geworden.
Auch Dank eurem Beitrag wird die Vision eines friedlichen, achtsamen Miteinanders immer mehr zur Realität und konnte sich inzwischen zu einem globalen Bildungsprojekt mit vier verschiedenen und doch eng zusammenhängenden Teilbereichen entwickeln:
1. Die freie Grundschule
2. Das Freizeitatelier
3. Das öffentliche Bildungszentrum
4. Das sonderpädagogische Kompetenzzentrum
1. die freie Grundschule
Seit der Eröffnung 2010 wächst die Grundschule zusammen mit den Kindern, Klassenstufe um Klassenstufe von der 1. bis zur 6. Klasse. Der marokkanische Lehrplan wird mit einer achtsamen, den kulturellen Begebenheiten angepassten Pädagogik umgesetzt und mit kreativen Lerninhalten ergänzt. Die Kinder erleben ein Lernfeld, in dem sie sich entsprechend ihren Fähigkeiten und ihrer Entwicklung erfahren und respektiert fühlen. Begreifen, sich und etwas bewegen, die Welt erkunden, Unterstützung erhalten, lernen zu sich zu stehen sind hier täglich praktizierte Realität. Verschiedene Aktivitäten und Exkursionen stärken die Wurzeln der Kinder. Die Möglichkeit seine Fantasie entfalten zu dürfen, sowie der rege Austausch mit Freunden aus Europa, schenken den Kindern Flügel. Die Schule ist vom marokkanischen Erziehungs- und Bildungsministerium anerkannt.
2. das Freizeitatelier mit Tüftellabor, Kreativwerkstätte und Sportangebot
Auf den bereits vorhandenen Geländen sollen jetzt Ateliers und Werkstätten nach dem Vorbild des Schweizer Brütwerkes (www.bruetwerk.ch) entstehen. In einem vorbereiteten und begleitenden Umfeld entdecken Kinder und Jugendliche des Tales hier ihre persönlichen Talente und kreativen, handwerklichen und sportlichen Fähigkeiten. In den gut ausgestatteten Tüftelwerkstätten (Farbe, Holz, Metall, Elektrik, Textil, etc.) wird mit Freude experimentiert, gewerkt, kreiert. Die Jugendlichen erleben einen respektvollen, achtsamen Umgang und werden in ihrer Identitätsfindung ernst genommen. Sie können spielerisch Dinge ausprobieren, den Raum der ihnen gegeben wird mit ihrer Persönlichkeit und ihren Ideen füllen und bekommen außerdem Anregungen für die Gestaltung ihrer eigenen Zukunft.
Zahlreiche Sportangebote bieten den Teilnehmern außerdem die Möglichkeit sich zu trainieren, eigene Grenzen zu überwinden und ihre Energie kanalisieren zu lernen. In den verschiedenen Ateliers, Kursen und Workshops lernen die Mädchen und Jungen sich selbst, Neues und Althergebrachtes kennen und gestalten einen Ort, an dem sie mit Selbstverantwortung und gegenseitigem Respekt Stärkung im Prozess des Erwachsen-Werdens erfahren.
Die Nachfrage in der Bevölkerung nach diesem Freizeitangebot ist gross. Verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre zeigten zudem, wie dringend solch ein Ort für die Jugendlichen benötigt wird. Aus Mangel an Räumen und Finanzmitteln kann der Freizeittreff momentan jedoch auch während der 2 langen Sommerferienmonate nicht angeboten werden. Die Pläne für die benötigten Bauten liegen bereit.
3. die öffentliche Bildungsstätte mit Bibliothek und Kursangeboten
Im Obergeschoss der Freizeitateliers werden die öffentliche Bibliothek und das Begegnungszentrum untergebracht sein. Mit einem breitgefächerten Bildungsangebot für Frauen und Männer verschiedener Alters- und Bildungsstufen wird hier Zugang zu Wissen und eine Plattform für Austausch und gegenseitiges Lernen geboten. Die Kursangebote regen zu einem selbstbestimmten, verantwortungsvollen Handeln an, vermitteln Ideen zu einer nachhaltigen Lebensweise und stärken die Identität der im Tal lebenden Menschen. Die interkulturellen Begegnungen mit Besuchern und Referenten aus verschiedenen Ländern sind ein gegenseitiges Voneinander-Lernen und tragen zur Friedensförderung bei; Die Wertschätzung der eigenen Kultur wird gefördert, die Toleranz gegenüber dem Anderen gelebt. Im Bildungszentrum wird regelmäßig und realistisch über Migration, Stadt-, Landleben und Erwerbsmöglichkeiten informiert, sowie Seminare, Frauenkreise und Fortbildungen zu verschiedenen aktuellen Themen angeboten (Erziehung, Gesundheit, Ökologie, Informatik, etc.) Ein Mehrzwecksaal bietet außerdem Platz für Versammlungen und Feste. Die Räume können von der Projektleitung für Seminare und Kurse an Gäste vermietet werden und werden so eine kleine Einkommensquelle für das Projekt sein.
Der Baugrund für die Freizeitateliers und das Bildungszentrum wurde bereits ausgehoben und wird momentan von der Schule als Pausen- und Sportplatz genutzt. Die Pläne für die Gebäude stehen. Doch aus Mangel an Finanzmitteln konnte mit dem eigentlichen Bau noch nicht begonnen werden. Es werden weitere Gelder benötigt um den Bau, der dem gesamten Tal zugute kommen wird, zu starten.
4. das sonderpädagogische Kompetenzzentrum
Ein Bildungsangebot für Menschen mit besonderen Bedürfnissen fördert die Integration von Kindern mit Behinderungen in der Grundschule. Vorrangig geht es momentan um die Förderung und Eingliederung von Kindern mit Hörbehinderung. Verschiedene Praktikanten aus Europa lehren und praktizieren mit den anwesenden gehörlosen Kindern und ihren Angehörigen, sowie mit dem Lehrteam der Schule die Gebärdensprache. Mit Unterstützung und im Austausch mit internationalen Fachstellen begleitet das Bildungsteam die Kinder individuell und entwickelt momentan eine den lokalen Begebenheiten angepasste sonderpädagogische Kommunikations-, Lehr- und Unterrichtsform. Die Familien erhalten durch ein Beratungsangebot außerdem Wissen und Unterstützung im Alltag, sowie die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Eltern.
Es werden Gebärdensprach-kompetente und vorzugsweise gehörlose Praktikanten gesucht, die für gewisse Zeit, auch längerfristig, in der école vivante mitarbeiten um diesen wichtigen Bereich weiter auszubauen, der ebenfalls auf Fördergelder von außen angewiesen ist.
Im letzten Jahr 2011/12 konnten im Gesamtprojekt école vivante folgende Dinge realisiert werden:
• Erweiterung der Grundschule auf 30 Schüler und insgesamt 4 Klassenstufen
• Organisation von Fortbildungsaufenthalten, sowohl für das marokkanische Lehrpersonal in der Partnerschule (Schweiz), wie auch für verschiedene europäische Pädagogen in Marokko; zur gegenseitigen professionellen und persönlichen Weiterbildung.
• Instandsetzung des Schulbusses; Inbetriebnahme voraussichtlich September’12.
• Aktiver interkultureller Dialog durch die Organisation längerfristiger Familienaustausche und regelmäßige Begegnungen zwischen Einheimischen und Besuchern.
• Praktikumsaufenthalte von verschiedenen gebärdensprachkompetenten Personen in Marokko zum Aufbau des integrativen Unterrichtprogramms für Kinder mit Hörbehinderung.
• Außerschulische Sprachkurse für Frauen des Tals (Französisch).
• öffentlicher Nachhilfeunterricht für Schüler der Staatsschulen.
• Naturheilkunde-Schulungen (Homöopathiekurse für Frauen durch den Verein „HSF France“ und Kurse in der Nutzung lokaler Heilkräuter).
• Vorbildfunktion in ökologisch-nachhaltiger Lebensweise (alle Bauten in Lehmarchitektur und unter Nutzung heimischer Materialien, Eröffnung und Nutzung der Komposttoiletten, Mülltrennung, biologisch-dynamischer Landbau)
• Sensibilisierung der Bevölkerung (Müll-Sammelaktionen, Informationen zur ganzheitlichen Lebensweise, Hygiene, Gesundheit, Bildung, Erziehung und Nutzung neuer Medien).
Fazit und Ausblick
Mit seiner Verwurzelung vor Ort sowie der globalen und breitgefächerten Ausrichtung hat das Projekt école vivante Modellcharakter und geht mit innovativem Beispiel voran. In Zeiten politischer und religiöser Unruhen, dem „Arabischen Frühling“ mit seinen Umwälzungen, der zunehmenden Perspektivlosigkeit unter Jugendlichen und der allgemein wachsenden Angst vor dem Fremden bietet es eine konkrete Alternative.
Die Bildungsstätte école vivante ist ein Entwicklungsprojekt, welches aus den realen Bedürfnissen der Bewohner und in Harmonie mit den lokalen Gegebenheiten gewachsen ist. Dank eurer Unterstützung kann die Vision „mit Wurzeln und Flügeln“ im täglichen Dialog umgesetzt und den Menschen hier das Werkzeug an die Hand gegeben werden, damit sie ihre Zukunft selbstsicher gestalten.
Die école vivante schafft Möglichkeiten zu eigenverantwortlichem Handeln und bietet Zukunftschancen, sie gibt Anregungen und Anstösse, macht Mut und bewegt, schätz Altes wert und öffnet sich neuen Wegen.
Die école vivante engagiert sich für einen friedlichen und fruchtbaren Austausch und für ein respektvolles Miteinander der verschiedenen Religionen und Kulturen und trägt ihren Teil dazu bei, unsere Welt ein wenig bunter, toleranter und liebevoller zu gestalten.
Doch das Entwicklungsprojekt école vivante ist in seinem Fortbestand und seiner Entwicklung abhängig von Spendengeldern und praktischer Unterstützung! Wir danken von Herzen allen Spendern und Paten, die uns im letzen Jahr unterstützt haben, und allen Freunden, Sponsoren und Freundeskreisen für euer großes Engagement, die Werbung und Vernetzungen! Ganz besonders danken möchten wir unserer Partnerschule Scuola Vivante, Veronika und Jürg, für ihre ideelle und praktisch-pädagogische Unterstützung und Motivation, sowie für ihre hilfreichen Kontakte.
Allen Schülern, Eltern und auch den zahlreichen Besuchern aus der ganzen Welt danken wir für ihr aktives Teilhaben am Schulalltag. Dieses wach sein, mit Freude teilnehmen macht die école vivante im wahrsten Sinne des Wortes zum lebendigen, lebhaften Ort des Lernens und Lehrens.
Herzliche Grüsse aus dem glücklichen Tal im Zentralen Hohen Atlas.
Stefanie-Itto & Haddou Tapal Mouzoun & école vivante Team