Tribüne
Eine Aussage liess mich letzte Woche aufhorchen. Nicht, dass ich sie nicht schon öfters gehört hätte. Vor allem jetzt in der aktuellen Bildungsdiskussion. Sie fiel mir deshalb auf, weil sie von zwei engagierten jungen Frauen stammt, die kurz vor dem Schritt in ihr Berufsleben als Lehrerinnen stehen. Die Äusserung brachte die Haltung zum Ausdruck, das Musiktheater, an welchem die Schulkinder intensiv geprobt hatten und welches kurz vor der Aufführung stand, habe es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, dem Schulalltag etwas zu entkommen.
Ich stelle es mir traurig vor, sich am Ende einer Ausbildung – mit dem ganzen Feuer und all den Idealen, die man in sich trägt – vor einem Alltag zu sehen, in dem man den Kindern Möglichkeiten schaffen muss daraus zu entkommen. Und sich selbst wohl früher oder später auch.
Es mag sein, dass die Worte unglücklich formuliert, nicht in dieser Härte gemeint waren. Aber Hand aufs Herz, wenn wir uns mit der Schule befassen, herrscht in den meisten unserer Köpfe doch genau diese Denkweise – meist auch aus eigen Erlebtem – vor: Eine Trennung von Leben und Lernen, Freude und Pflicht, Lust und Leistung. Irgendwie hält sich seltsamerweise die Meinung fest, dass sobald Lernen Freude ausstrahlt und Lebendigkeit vermittelt, irgendetwas nicht stimmen kann.
Von Leonardo da Vinci wird der Satz überliefert „Binde deine Karren an einen Stern“. Er ahnte wohl, dass es in der Vielfalt seiner Begabungen und in seiner ganzen Schaffenskraft nicht ausreichen würde, seinen Lebenskarren an einen Ochsen zu binden. Kreative (Multi-)Talente haben es in der heutigen Bildungslandschaft nicht einfach. Sowohl als Lehrer wie als Schülerinnen. Es gibt nun einfach einmal verschiedenste Wege zu lernen; individuelle Arten, wie sich einem Sachverhalt genähert, dieser verstanden und dem Gelernten Ausdruck gegeben werden kann. Das ist eine Tatsache; eine bereichernde.
Verkümmerte Talente finden ihre Ausdrucksform oft in Übellaunigkeit, Aggression oder Depression. Gelingt es, die Vielseitigkeit zu leben und in einem (Lebens-)Werk zu integrieren, unterstützt und fördert dies die Entwicklung einer ganzheitlichen Persönlichkeit und es dient der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.
Der Lehrplan des Kantons St. Gallen bietet seit 15 Jahren die Möglichkeit, starre Fächerstrukturen aufzuweichen und lebendige, Wissen vernetzende Projekte natürlicher Bestandteil des Alltags werden zu lassen. Diese Integration unterschiedlicher Lerntypen und Begabungen führt zu einer reichhaltigen Lernkultur.
Haben wir doch einfach den Mut, unsere Karren (wieder) an die Sterne zu binden. Und dasselbe den Kindern zu ermöglichen. Die Strassenbeleuchtungen und Schaufensterauslagen können uns die nächsten Wochen ja täglich darin bestärken.