Es ist eine sehr junge Schule, die Freie Volksschule Werdenberg, welche Ende Juni im schuleigenen Verlag „Freie Fliege“ ihr erstes Buch herausgegeben hat.
Ein ganzes Jahr hindurch hat der „Fliegentanz“, so heisst die illustrierte Kurzgeschichte, Lehrpersonen und Kinder begleitet. Mit dem Vertrieb dieser gelungenen Veröffentlichung hat ein neues Projekt begonnen.
Zu Beginn des Schuljahres 94/95 besuchten elf Kinder von Kindergarten bis zur sechsten Klasse die Freie Volksschule Werdenberg. Begleitet wurde diese Gesamtschulgruppe von zwei Hauptlehrpersonen in Teilzeitanstellung, einer Turn- sowie einer Werklehrerin.
Rückblickend ist es schwierig festzustellen, welche Situationen und Äusserungen ausschlaggebend waren, dass am Ende des Schuljahres ein sechzigseitiges, offsetgedrucktes, gebundenes Bilderbuch in den Händen gehalten werden konnte … und dies von tausend Personen gleichzeitig. Denn gedacht war es zu Beginn überhaupt nicht so.
Gedacht war ein Schulbetrieb, in dem den Kindern wohl ist, eine Schulform, in der die Kinder glücklich leisten können, eine Schule, die den Kindern hilft, starke, junge Menschen zu werden. Mit viel Lebensfreude in sich, einer guten Naturverbundenheit und einem gesunden Vertrauen in die Welt und in sich selbst.
Unter diesem Gesichtspunkt sah der Quartalsplan für die Mittelstufengruppe das Thema „Drucken“ vor. Das Arbeiten mit einer Geschichte im Sprachunterricht, das künstlerische Umsetzen derselben Geschichte mit verschiedenen Drucktechniken in Zeichen- und Werkstunden.
Nichts Spezielles, nichts Herausragendes. Auch nicht das selbstgebundene Buch, in welche Text und Bilder am Ende des Quartals ihren Platz finden sollten. An jeder Schule möglich, jederzeit.
Doch ist schon beim Durchblättern des entstandenen Buches spürbar, dass schlussendlich mehr hineingeflossen ist als „nur“ Sprach- und Gestaltungsunterricht.
Bestimmt kamen der Freien Volksschule Werdenberg bei der Umsetzung der Buchidee die Strukturen entgegen, welche sie sich teils freiwillig, teils gezwungenermassen geschaffen hat. Die „Projektnachmittage“ sind ein Teil daraus. Ein Nachmittag pro Woche ist für Menschen reserviert, welche in einem bestimmten Bereich über Fertigkeiten verfügen und diese den Kindern nahe bringen wollen.
So meldete sich in dieser Zeit ein Vater – gelernter Drucker – er hätte eine alte Abziehpresse zu Hause, welche er der Schule gerne zur Verfügung stellen würde. Es versteht sich bestimmt von selbst, dass das Thema „Drucken“ somit auch auf Projektnachmittage und Unterstufengruppe ausgedehnt wurde.
Ein weiterer Teil, sich in ein Stoffgebiet zu vertiefen, bildet in dieser Rheintalerschule der „Tag im Freien“. Ein Tag pro Woche findet der Unterricht ausserhalb der Schulräume statt: Naturkunde, geographische und geschichtliche Ausflüge, Museumsbesuche, Sport, Betriebsbesichtigungen…
Naheliegend, dass die „Buchkultur“ des ehemaligen Klosters St. Gallen eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema möglich machten.
All die Ausflüge in Stiftsbibliothek, Museen und Sonderausstellungen sowie die Beschaffung des Materials für die Druckvorlagen kosteten nicht nur viel Zeit sondern eben auch Geld – welches bekannterweise an Privatschule nicht gerade in Hülle und Fülle vorhanden ist.
Als dann die Mittelstufengruppe nach einem halben Jahr Arbeit ihre handgebundenen, handgedruckten, computergeschriebenen, individuell gestalteten Kunstbücher nach Hause nehmen konnte, stand die Idee einer Veröffentlichung schon vage im Raum.
Der Erlös aus dem Verkauf des „Fliegentanz“ sollte in die Klassenkasse fliessen. Die Kasse, welche von den Kindern verwaltet wird und für alle schulinternen Ausgaben zuständig ist.
Kurz nach den Weihnachtsferien begann die Umsetzung dieses zweiten Teiles zunächst mit Erwachsenenarbeit. Graphische Bearbeitung, Computersatz, Sponsorensuche und Verhandlungen mit der Druckerei. Die Schülerinnen und Schüler nahmen Teil, entschieden und freuten sich mit, brachten Ideen ein, verfolgten den Entstehungsprozess in der Druckerei und stellten ein Buchpremierenfest auf die Beine, welches manch Teilnehmende verblüffte.
Ob es sich gelohnt hat, dieser ganze Aufwand, fragen Sie? Und wie dies sei mit Rechnen und Rechtschreibung an dieser Schule?
Ob es sich finanziell gelohnt hat, das werden die Kinder nach den Ferien ausrechnen, sie stecken auch schon voller Ideen für weitere Geschichten. Und sonst? – Vielleicht reicht es ja aus, wenn ein Kindergartenmädchen nach dem Buchfest freudestrahlend zu mir kommt und sagt: „Du, jetz isch mr vorhär grad ä Flügä uf d’Lippä gsässä.“